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Date: Sat, 8 Jul 2000 12:02:20
Subject: Hilfe zu russischen Eigennamen

Alle Beiträge wurden leicht editiert!


From: Peter Luschny
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Hallo allerseits, wer kann mir sagen wie der gute alte Pafnuti Lwowitsch in der neuen deutschen Rechtschreibung zu benamsen ist:

(1) Tschebyschew
(2) Tschebyscheff
(3) Tchebychev

oder sonst wie? Wer legt das fest?
Wer kann einen relevanten Link angeben?

Danke Peter


From: Andreas Prilop
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>  wie ist der gute alte Pafnuti Lwowitsch zu benamsen?
[ISO-8859-2] Pafnutij L'vovič Čebyšev

> Wer legt das fest?
DIN, ISO etc.

> Wer kann einen relevanten Link angeben?

http://www.unics.uni-hannover.de/ntr/russisch/umschrift.html


From: Carsten Kruse
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Ich habe die Polynome dieses Herren als Tschebyschew- Polynome kennengelernt. So standen sie auch im Bronstein Semendjajew drin.

Die zweite Schreibung wäre auch noch soweit akzeptabel. (Wie beim guten Georgi Dimitroff. Die Schreibung war wohl in den 30ern im Deutschen Reich üblich und hatte dann Bestandsschutz oder so.)

Die dritte jedoch ist ein m.E. an die deutsche Sprache nicht angepasstes System, sondern ist an das französische bzw. englische angelehnt.

Zu DDR-Zeiten gab es eine an der Uni Leipzig entwickelte sehr gute Umschrift vom Russischen (und anderen das kyrillische Alphabet nutzenden Sprachen) ins Deutsche, die nach der Wende aber mehr oder minder stasiterrorsystem entsorgend in den Orkus ging; statt dessen übt man sich jetzt, wie wohl schon lange vorher im Vielbesserland, in Beliebigkeit.

Das kann man auch an den lustigen Umschriften für Vor- und Nachnamen von Aussiedlern sehen. Am lustigsten sind Rücktranskribierungen ehemals deutscher Namen: Dering (statt Döring), Vagner (statt Wagner), Akstgelm (statt Axthelm) etc. Dabei spielt allerdings nicht nur das verwendete Transkribierungssystem eine Rolle, sondern vor allem schlicht und ergreifend die Dummheit des zuständigen Beamten.

Lustig für Leute, die "Alttranskrib" gewöhnt sind, sind aber auch: Vladimir (vorher Wladimir), Nikolaj (vorher Nikolai), Gennadij (vorher Genadi) und andere Perlen.

From: Michael Graeme
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Hallo, Variante 1 ist korrekt - unabhängig davon, ob der Text in neuer oder alter Rechtschreibung verfasst wird. Die Transkription hat sich nicht verändert, alle Neuerungen betreffen Schreibweisen von rein deutschen Wörtern und einige Fragen der Zeichensetzung.

Freundliche Grüße, Michael.

From: Peter Luschny
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Pafnutij L'vovič Čebyšev

(Wenn das seltsam aussieht, und falls euer Newsreader (oder Browser) das zulässt, dann versucht folgende Einstellung: Ansicht/ Zeichensatz (Codierung) / (mehr)/ Osteuropa (ISO). Selbst Opera 4.02 bekommt das nicht geregelt.)

Hallo Andreas, hallo Carsten, hallo Michael, vielen Dank, das bringt mich weiter!

Wenn ich die Infos richtig verstanden habe, kann ich entweder

(1) die DIN-Transliteration auf Unicode Basis verwenden (die in diesem Fall das gleiche Ergebnis wie die ISO-Transliteration liefert (warum zum Teufel ist DIN =/= ISO)) und Čebyšev schreiben,

(2) oder die Transkription des Dudens verwenden, was auf Tschebyschew führt.

Nachdem ich mir jetzt den Unterschied zwischen Transliteration und Transkription klar gemacht habe ...

Als Transliteration bezeichnet man eine
     ** zielsprachenneutrale, eindeutig rückübertragbare
     ** (eineindeutige) Umschrift.

Als Transkription bezeichnet man eine
     ** zielsprachenspezifische Umschrift, bei der die Phonetik
     ** der Zielsprache besonders berücksichtigt,
     ** Eindeutigkeit nicht angestrebt wird.

... werde ich in einem deutschen Fachbuch Tschebyschew verwenden, hingegen in einem Aufsatz in einer internationalen Fachzeitschrift Čebyšev.

Bleibt noch die Frage, warum sich keiner daran hält.

Zwei Beispiele, willkürlich ausgewählt:

> Vieweg Mathematik Lexikon (2.Auflage 1993) verwendet "Tschebyscheff"
> Brüdern, Einführung in die analytische Zahlentheorie, Springer 1995 verwendet "Tchebychev"

Zwei (renommierte) wissenschaftliche Verlage.

+ Beschäftigen die keine Lektoren?
+ Oder beschäftigen sie Lektoren, die weder den Duden noch DIN kennen?
+ Oder beschäftigen sie Lektoren, die Duden und DIN kennen, denen das aber alles schnurze piepe ist?

Oder, wie es Carsten Kruse formulierte: "..statt dessen übt man sich jetzt, wie wohl schon lange vorher im Vielbesserland, in Beliebigkeit."

Gruß Peter

Postscriptum.

Carstens engagierte Bemerkungen über die Wessis fand ich nicht ganz unzutreffend. Mittlerweile erscheinen sie mir ergänzungsbedürftig. Denn ein paar Monate nach unserer Diskussion im Usenet fiel mir "Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaft, Band 261" in die Hände: Leonhard Euler, Zur Theorie komplexer Funktionen.

Es handelt sich um einen aus Anlass des Euler-Gedenkjahres 1983 herausgegeben Text, der von einer deutschen Redaktion an der Universität Leipzig (sic!) herausgegeben wurde. Auf Seite 25 finden wir die Schreibweise "P. L. Cebyšev". Dies entspricht weder einer heute noch damals gültigen Transliteration noch Transkription.

Möglicherweise sind Carstens Bemerkungen doch ein wenig "ostalgisch" gefärbt, die Vermutung, dass es auch eine "sozialistische Beliebigkeit" gab, dass die Anwendung der "sehr guten Umschrift" auch oftmals systemimmanent in den Orkus ging, scheint nicht ganz aus der Luft gegriffen zu sein.

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